Als ich in der Oberstufe war und mir Gedanken über die Studien- und Berufswahl machte, war ich in der Situation, dass meine Schul- und voraussichtlichen Abinoten bis auf Sport zu den besten gehörten, dass ich sehr gerne und, wie mir ein Kunsthochschuldozent sagte, talentiert malte, und dass ich unbedingt die Welt verbessern wollte.
Wie man so schön sagt, standen mir damit, wenn nicht die sprichwörtlichen “alle”, so doch sehr viele Möglichkeiten offen. Das führte bei mir zu einer langen Phase, in der ich diverse Möglichkeiten hin- und her wog. Schließlich bildete sich in mir die Überzeugung, dass ich mit (relativer) Leichtigkeit Jura studieren könnte und mir damit alle Möglichkeiten offen stehen würden, etwas in der Welt zu verbessern, und zwar mehr, als mit einem Kunst- oder Politik-/Soziologiestudium.
Also studierte ich “brav” Jura, schloß zwei Staatsexamina mit weit überdurchschnittlichen Noten ab, promovierte summa cum laude, machte nebenbei diverse Praktika und hatte einige anspruchsvolle Haupt- und Nebentätigkeiten, insbesondere in Entwicklungsländern, engagierte mich ehrenamtlich, bekam mehrere Stipendien, wurde mit 28 Rechtsanwältin, mit 29 Notarassessorin, mit 30 Unternehmensjuristin als Management- & Gremienberaterin, absolvierte nebenbei zwei Coaching-Ausbildungen, renovierte ein altes Bauernhaus.
Klingt gut ausgefüllt, oder? Und doch gibt es zwei wichtige Dinge, die mir erst im Laufe der Jahre klar wurden und die ich gerne gewusst hätte, bevor ich mich nach dem Abi für eine Richtung entschied. Deshalb möchte ich sie jetzt mit euch teilen:
Nummer 1: Wenn du studierst, studiere, was dir inhaltlich gefällt. Orientiere dich nicht an späteren “Chancen” oder dem sozialen Prestige der unterschiedlichen Studienfächer. Denn: Wenn du für dein Fach leidenschaftlich brennst, wirst du als talentierter Mensch überdurchschnittlich erfolgreich sein und dein Fach als Forscher und Lehrer weiterverfolgen können, trotz widriger Bedingungen an den Hochschulen und sonstigen Forschungs- und Lehreinrichtungen. Alles andere wird dir als hochbegabter Person auf Dauer sowieso zu langweilig im Sinne von zu wenig anspruchsvoll sein oder dich aufgrund der Widrigkeiten, gute Ideen in der Praxis umzusetzen, zu sehr frustrieren. Es sei denn, du machst dich als (Mit-)Gründer mit der eigenen Geschäftsidee selbständig – aber die entsteht auch nur auf dem Boden einer brennenden Leidenschaft. Also vertraue auf deine Leidenschaft als einziges Kriterium der Studienwahl.
Nummer 2: Bedenke, dass jedes handwerkliche Fach unbegrenzte Möglichkeiten der Meisterschaft bietet – die allermeisten intellektuellen Tätigkeiten hingegen nicht. Im Gegenteil, alle so genannten “anspruchsvollen” geistigen (Schreibtisch-)Berufe sind im intellektuellen Niveau stark gedeckelt – zu stark für eine hochbegabte Person, die immer den Drang haben wird, Neues zu schaffen, Grenzen zu überwinden oder einzureißen und Paradigmenwechsel herbeizuführen. Das Gegenteil ist in den gut bezahlten, angesehenen und Karriere verheißenden Berufen nach einem wirtschafts-, rechts-, sozial-, ingenieurs- usw. wissenschaftlichen Studium der Fall. Wenn du der für hochbegabte Menschen heimtückischsten Falle des sog. “Bore Out” entkommen willst, dann entscheide dich lieber für eine Tätigkeit, die dich (auch) handwerklich (im weiteren Sinne) fordert. Der Meisterschaft und damit deiner Entfaltung sind in diesem Fall nach oben keine Grenzen gesetzt.
Ich will damit nicht sagen, dass du a l l e i n e aus diesen Gründen eine Ausbildung statt eines Studiums beginnen oder dein Fach wählen oder dich gegen beispielsweise den Beruf des PR-Beraters entscheiden solltest. Ich möchte einfach nur, dass diese beiden aus mehr als zwölf intensiven Lebensjahren gewonnenen Erkenntnisse möglichst vielen jungen Talenten bekannt werden. Und bei der ein oder anderen Entscheidung weiterhelfen.