Als Kind hat mich eine Geschichte, die wir in meiner Messdiener-Gruppe gelesen und bearbeitet haben, sehr beeindruckt und mir Mut gemacht: Die wunderbare Geschichte von Swimmy, dem kleinen schwarzen Fisch, von Leo Lionni. Swimmy lebt als einziger schwarzer Fisch in einem großen Schwarm orangefarbener Fische. Eines schrecklichen Tages werden alle anderen Fische aus seinem Schwarm von einem großen Fisch gefressen, da Swimmy als einziger besonders schnell schwimmen kann. Daraufhin zieht Swimmy alleine los, die Weltmeere zu erkunden, und sieht viele schöne neue Dinge. Eines Tages trifft er in Küstennähe auf einen anderen Schwarm orangefarbener kleiner Fische. Dieser traut sich nicht fort, da er Angst vor den großen Fischen im offenen Meer hat. Doch Swimmy hat einen genialen Vorschlag: Um nicht zur Beute zu werden, bilden die kleinen Fische einen großen Fisch, und der schwarze Swimmy macht das Auge. So können sie unbehelligt die weiten Meere erkunden.
Die Geschichte wird häufig pädagogisch eingesetzt, um zu zeigen, dass in einer Gemeinschaft jeder seinen Platz hat und wie förderlich Zugehörigkeitsgefühl ist. Für mich war es aber immer schon die Geschichte von Swimmy, der anders ist. Schwarz, nicht orange. Schneller als alle anderen Fische seines Schwarms. Ein Sonderling. Ich weiß nicht mehr, ob es in der Geschichte tatsächlich vorkommt, aber für mich war immer klar, dass Swimmy ein Außenseiter ist, der von den anderen Fischen seines Schwarms misstrauisch beäugt wird. Und der seine Rolle und seinen Frieden mit sich erst dann findet, als er eine Aufgabe erhält, die (nur) er erfüllen kann und die wichtig für die Gemeinschaft ist. So habe auch ich immer meinen Platz in Gemeinschaften gesucht: Welche Aufgaben kann (nur) ich erfüllen? Und war so zwar häufig der Sonderling, aber ein wohlgelittener, weil gemeinschaftsfördernder.
Leo Lionni hat aber noch andere wunderbare Kinderbücher geschrieben. Die Geschichte der kleinen Maus Frederick, die anstatt wie ihre Brüder und Schwestern eifrig Vorräte für den Winter zu horten (die „Vernünftigen“), lieber Farben sammelt (der „Tagträumer“, der Künstler), haben wir in der Grundschule als Theaterstück aufgeführt.
Und noch eine tolle Geschichte hat Leo Lionni geschrieben: die vom bunten Chamäleon, das traurig ist, weil es nicht so wie die anderen Tiere eine eigene Farbe hat, sondern mal rot, mal gelb, mal einfarbig, mal gestreift ist. Erst als es einen Artgenossen trifft, dem es genauso geht, kann sich das kleine Chamäleon endlich über seine Eigenarten freuen. Erkennt sich da nicht jeder Hoch- und Vielbegabte wieder? Ich denke, die Geschichte will uns sagen, dass wir kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen, wenn wir lieber mit älteren als mit gleichaltrigen Kindern spielen, wenn unsere besten Freunde ebenfalls hoch- und vielbegabt sind, wenn wir manchmal mit uns hadern, weil wir anders sind. All das gehört zu uns! Und, das Wichtigste: wir verdienen es, geliebt zu werden und uns selbst zu lieben. So wie das kleine Chamäleon.